Die Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) ist bekannt für ihre intensiven emotionalen Schwankungen, impulsiven Verhaltensweisen und instabilen zwischenmenschlichen Beziehungen. In Partnerschaften mit Betroffenen kann es vorkommen, dass der nicht erkrankte Partner im Laufe der Zeit ähnliche Symptome entwickelt – ein Phänomen, das als „Pseudo-Borderline“ bezeichnet wird.
Was ist Pseudo-Borderline?
Der Begriff „Pseudo-Borderline“ beschreibt einen Zustand, in dem Menschen, die engen Kontakt zu Personen mit BPS haben, Verhaltensweisen und emotionale Reaktionen zeigen, die denen der Borderline-Störung ähneln. Dieses Phänomen tritt häufig bei Partnern oder Familienmitgliedern auf, die über einen längeren Zeitraum intensiven emotionalen Belastungen ausgesetzt sind. Der Begriff selbst ist keine Diagnose und keine offizielle Terminologie der WHO. Er soll darstellen, dass die Symptome der Betroffenen zwar dem Borderline-Typ der emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung über weite Strecken ähneln, es jedoch kein echtes Borderline ist. Der Hauptunterschied liegt darin, dass es – zumindest in den ersten Jahren des Kontakts – zu keiner signifikanten Veränderung des Gehirns kommt, insbesondere der Amygdala. Darüberhinaus bilden sich die Symptome von Pseudo-Borderline nach einiger Zeit ohne Kontakt zum BPS-Betroffenen oft auch von allein wieder zurück.

Typische Symptome der Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS)
Um Pseudo-Borderline besser zu verstehen, ist es hilfreich, die wichtigsten Symptome von BPS zu kennen:
- Intensive Angst vor Verlassenwerden: Personen mit BPS haben oft panische Angst davor, verlassen zu werden, selbst wenn keine reale Bedrohung besteht.
- Instabile zwischenmenschliche Beziehungen: Beziehungen sind oft extrem wechselhaft, mit Phasen von Idealisierung und plötzlicher Abwertung.
- Identitätsprobleme: Menschen mit BPS haben oft Schwierigkeiten, eine konstante Selbstwahrnehmung zu behalten.
- Impulsivität: Schnell getroffene Entscheidungen, riskantes Verhalten in Bereichen wie Geld, Drogen, Sex oder Autofahren.
- Selbstverletzendes Verhalten: Dazu gehören Selbstverletzungen, Suizidgedanken oder -versuche.
- Extreme emotionale Instabilität: Schnelle Stimmungsschwankungen innerhalb weniger Stunden oder Tage.
- Chronische Gefühle von Leere: Ein anhaltendes Gefühl innerer Leere, das Betroffene oft mit impulsivem Verhalten zu kompensieren versuchen.
- Wutausbrüche: Intensive, oft unangemessene Wut, die schwer zu kontrollieren ist.
- Paranoia oder dissoziative Symptome: Unter starkem Stress kann es zu Gefühlen der Entfremdung oder Wahrnehmungsverzerrungen kommen.
Ursachen für die Entwicklung von Pseudo-Borderline-Symptomen
Die Entwicklung von Pseudo-Borderline-Symptomen bei Partnern kann auf mehrere Faktoren zurückgeführt werden:
Emotionale Ansteckung
Menschen neigen dazu, die Emotionen ihrer nahestehenden Personen zu spiegeln. In einer Beziehung mit einem BPS-Betroffenen können die intensiven Emotionen des Partners übernommen werden, wodurch der nicht erkrankte Partner ebenfalls emotional instabil wird. Diese emotionale Ansteckung geschieht oft unbewusst und kann sich schrittweise verstärken. Besonders in Situationen, in denen der Partner heftige emotionale Reaktionen zeigt, entwickelt der nicht erkrankte Partner Mechanismen, um darauf zu reagieren. Da Borderline-Betroffene oft zwischen Extremen schwanken, kann der gesunde Partner durch die ständige Konfrontation mit intensiven Gefühlen wie Angst, Wut oder Euphorie eine eigene emotionale Dysregulation entwickeln. Dies kann dazu führen, dass er beginnt, in ähnlich impulsiver Weise auf bestimmte Reize zu reagieren, was das gegenseitige emotionale Aufschaukeln verstärkt.
Chronischer Stress
Ständige Konflikte und Unsicherheiten in der Beziehung können zu chronischem Stress führen, der die psychische Gesundheit des Partners beeinträchtigt. Die permanente emotionale Alarmbereitschaft, die durch die unvorhersehbaren Stimmungswechsel des BPS-Partners entsteht, kann das Stresslevel stark erhöhen. Dadurch können Symptome wie Schlafstörungen, Erschöpfung, Konzentrationsprobleme und Angstzustände auftreten. Der betroffene Partner befindet sich oft in einem Zustand erhöhter Anspannung, was dazu führen kann, dass er selbst impulsiv und emotional instabil wird.
Veränderung der Wahrnehmung
Durch wiederholte emotionale Turbulenzen kann der Partner beginnen, die Realität verzerrt wahrzunehmen, was zu impulsiven Reaktionen, Angst vor Verlassenwerden oder intensiven Stimmungsschwankungen führt. Das wiederholte Erleben von Konflikten, Vorwürfen und Schuldzuweisungen kann dazu führen, dass sich der Partner selbst zunehmend hinterfragt und an der eigenen Wahrnehmung zweifelt. Dies kann eine Form von „gaslighting“ sein, bei der die Unsicherheiten verstärkt werden, sodass der Partner sich selbst als Ursache der Probleme sieht. Eine verzerrte Realitätswahrnehmung kann auch dazu führen, dass der Partner beginnt, sein eigenes Verhalten der instabilen Beziehung anzupassen und dadurch selbst extreme emotionale Reaktionen zeigt.

Symptome des Pseudo-Borderline
Partner von BPS-Betroffenen mit Pseudo-Borderline können folgende Symptome zeigen:
- Häufige und intensive Stimmungsschwankungen
- Erhöhte Empfindlichkeit gegenüber Zurückweisung oder Kritik
- Starke Verlustangst und übermäßige Bemühungen, den Partner zu halten
- Impulsivität, insbesondere in emotional aufgeladenen Situationen
- Erschöpfung und emotionale Instabilität, da der Partner dauerhaft auf emotionale Schwankungen reagieren muss
- Selbstzweifel und Identitätsprobleme, da die Beziehung zum Borderline-Partner den eigenen Selbstwert beeinflusst
Praktische Beispiele für Pseudo-Borderline
- Lisa und Max: Lisa lebt seit drei Jahren mit Max, der an BPS leidet, zusammen. Anfangs war sie geduldig, doch mittlerweile fährt sie selbst bei Kleinigkeiten aus der Haut und erlebt ständige Stimmungsschwankungen. Sie erkennt sich selbst nicht mehr wieder.
- Tobias und Sarah: Tobias gerät in Panik, wenn Sarah ihm nicht sofort antwortet. Er hat ähnliche Verlustängste entwickelt wie sie und kontrolliert sie zunehmend.
- Anna und Felix: Felix wirft Anna häufig vor, ihn nicht zu lieben, obwohl sie alles für ihn tut. Mit der Zeit beginnt Anna, an sich selbst zu zweifeln und verhält sich immer extremer, um Felix zu überzeugen, dass sie ihn liebt.
Konkrete Maßnahmen zur Reduzierung von Pseudo-Borderline-Symptomen
Falls bereits ein ausgeprägtes Pseudo-Borderline besteht, gibt es verschiedene Wege, um die Symptome zu reduzieren und zur eigenen emotionalen Stabilität zurückzufinden:
1. Therapie in Anspruch nehmen
Eine professionelle psychotherapeutische Begleitung kann helfen, emotionale Muster zu erkennen und neue Bewältigungsstrategien zu erlernen. Bewährt haben sich hier, neben der Paartherapie für beide, die kognitive Verhaltenstherapie und ihre Sonderform, die dialektisch-behaviorale Therapie.
2. Achtsamkeit und Selbstfürsorge
Tägliche Routinen wie Meditation, Tagebuchschreiben oder Sport können helfen, innere Stabilität zu finden. Zudem sollte bewusst Zeit für sich selbst eingeplant werden, um die eigenen Bedürfnisse wieder in den Vordergrund zu rücken.
3. Eigene Grenzen setzen
Wichtig ist es, gesunde Grenzen zu setzen und nicht jede emotionale Reaktion des Partners zu übernehmen. Dies kann durch klare Kommunikation und bewusste Distanzierung in konfliktbeladenen Momenten geschehen. Das Buch „Borderline-Liebe“ von Nachtgespräch bietet hier vielfältige Ansätze für den Umgang mit BPS-betroffenen Partnern.
4. Soziales Umfeld pflegen
Freunde und Familie können eine wertvolle Unterstützung sein. Isolation sollte vermieden werden, indem soziale Kontakte aktiv aufrechterhalten werden. Es kann sich anbieten, bewusst Zeit mit Freunden oder Familienmitgliedern ohne den Partner zu verbringen. Sportvereine oder andere individuelle Freizeitaktivitäten erlauben es beiden, eigene Interessen zu verfolgen und gleichzeitig soziale Kontakte zu pflegen.
5. Kommunikationsmuster reflektieren
Häufige Eskalationen in der Beziehung sollten bewusst analysiert und alternative Kommunikationsstrategien entwickelt werden. Kommunikationstechniken, wie die 3-Punkt-Kommunikation und der Verhaltensvertrag können dabei helfen, dass Konflikte nicht zu einer Veränderung der Persönlichkeit des Partners führen.

6. Unabhängigkeit bewahren
Eigene Interessen, Hobbys und Ziele können helfen, sich nicht vollständig in der Beziehung zu verlieren. Hierbei ist besonders wichtig, dass zwischen beiden vorab angesprochen und bei Bedarf explizit vereinbart wird, dass und wann man sich gegenseitig Freiraum für die eigenen Interessen gewährt.
7. Medikamente nur nach ärztlicher Empfehlung
Falls die psychische Belastung sehr hoch ist, kann eine medikamentöse Unterstützung sinnvoll sein – dies sollte aber stets mit einem Arzt besprochen werden.
Pseudo-Borderline ist ein ernstzunehmendes Phänomen, das Partnerschaften stark belasten kann. Durch professionelle Hilfe, Selbstreflexion und bewusste Bewältigungsstrategien können Betroffene wieder zu innerer Stabilität finden.